Philipp Känzig / Jonas Stüssi / Piera Cerny10.06.2020

Leitentscheid des Bundesgerichts zum Arresteinspracheverfahren


Im Urteil 5A_626/2018 vom 3. April 2019 beurteilte das Bundesgericht zum ersten Mal die bisher umstrittene Frage, ob gestützt auf Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG im kantonalen Beschwerdeverfahren gegen den Arresteinspracheentscheid neben echten Noven auch sog. unechte Noven zuzulassen sind.

Dem Entscheid lag ein Arrestverfahren zugrunde, bei welchem das Obergericht Zürich im Rahmen der Beschwerde der Arrestschuldnerin unechte Noven betreffend den Bestand der Arrestforderung zugelassen und (u.a.) gestützt darauf den Arrest aufgehoben hatte. Bei Bundesgericht rügte die Arrestgläubigerin hinsichtlich der Zulassung dieser unechten Noven eine willkürliche Rechtsanwendung von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG (E. 5).

Das Bundesgericht stellte einleitend fest, dass die Zulassung der unechten Noven für den Ausgang des kantonalen Beschwerdeverfahrens entscheidend war, weshalb die lang in der Lehre und Rechtsprechung umstrittene Frage rund um Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG durch das Bundesgericht in diesem Fall beurteilt werden musste (E. 6.2).

Im Rahmen der Auslegung von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG erwog das Bundesgericht zunächst, dass der Gesetzeswortlaut zu keinem klaren Ergebnis führt und sich auch unter systematischen Gesichtspunkten aus dem Verhältnis von Art. 326 ZPO und/oder Art. 174 Abs. 1 SchKG zu Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG nichts Konkretes ableiten lässt. Insbesondere deute nach Ansicht des Bundesgerichts die von Art. 174 Abs. 1 SchKG «abweichende Formulierung» in Art. 278 Abs. 3 Abs. 2 SchKG nicht auf ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers hin (E. 6.6.1).

Zentral erachtet das Bundesgericht hingegen den Zweck der streitigen Novenregelung im Rahmen der Teilrevision des SchKG von 1994. Mit dem neuen Einspracheverfahren wurde in diesem Rahmen ein umfassendes «verfahrensrechtliches Korrektiv» für den Fall fehlender Arrestvoraussetzungen angestrebt. Bezweckt wurde eine Verstärkung des Rechtsschutzes des Schuldners bei veränderten Lebensverhältnissen nach der Arrestbewilligung bzw. während dem Einsprache- als auch im Weiterziehungsverfahren. Insofern die Weiterziehung und die dort vorgesehene Novenregelung dem Schuldner Schutz vor einem ungerechtfertigten Arrest verschaffen sollen, ist mit Blick auf Art. 278 Abs. 3 Abs. 2 SchKG gemäss den Erwägungen des Bundesgerichts nicht einzusehen, weshalb es für die laufende Aktualisierung des Arrestes einen Unterschied machen soll, ob die neuen Tatsachen, die zu einer sofortigen Aufhebung des Arrestes führen würden, bereits vor dem Einspracheenscheid oder aus der Zeit nach dem erstinstanzlichen Entscheid stammen.

Gemäss Bundesgericht steht dem Zweck von Art. 278 SchKG, namentlich die Abwehr ungerechtfertigter Arrestbefehle zu verstärken, auch der Charakter des Arrestes als vorläufige Sicherungsmassnahme nicht im Wege. Das Bundesgericht pflichtet in diesem Punkt auch dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin zu, wonach es gerade in der Natur des einstweiligen Rechtsschutzes liegt– dem gesetzgeberischen Vorbild für Art. 278 SchKG -, dass vorsorgliche Massnahmen aufgehoben werden können, wenn sie sich nachträglich als ungerechtfertigt erweisen (E. 6.6.2).

Hingegen widerspricht das Bundesgericht dem von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwand, wonach sie, aus der Art und Weise, wie in den erwähnten Gesetzesmaterialen (nur) von den echten Noven die Rede sei, im Sinne einer historischen Auslegung den Schluss ziehen will, dass der Gesetzgeber die Zulassung unechter Noven in Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG bewusst habe ausschliessen wollen (E. 6.6.3).

Gemäss Bundesgericht sind damit unechte Noven im kantonalen Beschwerdeverfahren unter den Voraussetzungen zuzulassen, dass diese ohne Verzug vorgebracht und trotz zumutbarer Sorgfalt nicht schon vor erster Instanz vorgebracht werden konnten (analoge Anwendung von Art. 317 Abs. 1 ZPO; vgl. E. 6.6.4).

Zusammenfassend führt das Bundesgericht zur eingangs genannten Frage aus, dass die gesetzessystematischen und teleologischen Überlegungen den Schluss nahelegen, dass zu den «neuen Tatsachen», die gemäss Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG vor der Rechtsmittelinstanz geltend gemacht werden können, gleichermassen echte und unechte Noven zählen, wobei mit den Letzteren diejenigen Tatsachen und Beweismittel gemeint sind, die bereits vor dem Einspracheentscheid bestanden haben.

Die historische Auslegung fördert gemäss Bundesgerichts nichts zutage, was den Erkenntnissen aus der systematischen und teleologischen Auslegung widerspräche und eine auf echte Noven beschränkte Lesart dieser offen formulierten Norm als geradezu zwingend erscheinen liesse. Die skizzierte Auslegung von Art. 278 Abs. 3 Satz 2 SchKG steht gemäss den Erwägungen des Bundesgerichts im Übrigen im Einklang mit zahlreichen Lehrmeinungen, die sich mit schlüssigen Argumenten für die Zulassung unechter Noven aussprechen. Allein, dass in Rechtsprechung und Lehre mit gewissen Argumenten auch die gegenteilige Meinung vertreten wird, bedeutet - so das Bundesgericht - nicht, dass der angefochtene Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich dem Verbot staatlicher Willkür zuwiderläuft (E. 6.6.4).

Die Rüge betreffend willkürliche Rechtsanwendung von Art. 278 Abs. 3 Abs. 2 SchKG wie auch die Beschwerde als Ganzes der Arrestgläubigerin, wurde in der Folge abgewiesen und die Aufhebung des Arrests bestätigt.

Der Entscheid ist zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen.

Die STAIGER vertrat im Verfahren 5A_626/2018 die Arrestschuldnerin. Das Team bestand aus RA Philipp Känzig, RA Jonas Stüssi und RAin Piera Cerny.