Philipp Haymann / Eleonora Vomvoris01.07.2021

Neuer Betreuungsurlaub im Arbeitsrecht

Bereits seit dem 1. Januar 2021 haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen fixen Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Zeit, die zur Betreuung eines Familienmitgliedes oder Lebens-partners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung (Krankheit/Unfall/Behinderung) notwendig ist. Der Urlaub beträgt maximal drei Tage pro Ereignis und höchstens zehn Tage pro Jahr. Die entsprechende neue gesetzliche Bestimmung (Art. 329h OR) schafft in erster Linie Klarheit, da bislang kurzfristige (bezahlte) Abwesenheiten des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin zur Betreuung von Kindern und Ehegatten nur solange möglich war, «bis eine angemessene Ersatzlösung» gefunden werden konnte. Bei Abwesenheit zur Betreuung anderer Familienangehöriger bestand sogar nur dann ein Anspruch auf Lohn, sofern ein solcher verabredet oder üblich war.

Ab dem 1. Juli 2021 steht Eltern von gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindern nun zudem ein Anspruch auf einen entschädigten Sonderurlaub zu (neuer Art. 329i OR sowie Ergänzungen im Erwerbsersatzgesetz [EOG]). Im Hinblick auf diese Neuregelung widmen wir uns nachstehend ausgewählten Einzelfragen.

i)   Voraussetzungen des Anspruchs auf Betreuungsurlaub/-entschädigung

Der Anspruch steht nur den Eltern des betroffenen Kindes zu. Der Zivilstand der Eltern ist dabei unerheblich. Des Weiteren muss der beanspruchende Elternteil in einem Arbeitsverhältnis stehen, selbständig erwerbend oder (gegen Barlohn) im Betrieb des Ehegatten tätig sein und diese Tätigkeit zur Betreuung des Kindes unterbrechen.

Sodann gilt es festzuhalten, dass der neue Betreuungsurlaub nur zur Pflege gesundheitlich schwer beeinträchtigter Kinder in Anspruch genommen werden kann. Ein Kind gilt als gesundheitlich schwer beeinträchtigt, wenn

eine einschneidende Veränderung seines körperlichen oder psychischen Zustandes eingetreten ist;
der Verlauf oder der Ausgang dieser Veränderung schwer vorhersehbar ist oder mit einer bleibenden oder zunehmenden Beeinträchtigung oder dem Tod zu rechnen ist;
ein erhöhter Bedarf an Betreuung durch die Eltern besteht; und
die Erwerbstätigkeit für die Betreuung des Kindes unterbrochen werden muss.
Die Neuregelung begründet keinen Anspruch der Eltern bei leichten Erkrankungen und leichten Unfallfolgen, wie z.B. Knochenbrüchen. Das Ausmass der Pflegebedürftigkeit des Kindes bestimmt sich nach der Schwere der Beeinträchtigung, dem Alter des Kindes, dessen Symptomen und danach, ob eine stationäre oder ambulante Behandlung über längere Dauer notwendig ist. Mittels eines Arztzeugnisses sind die Notwendigkeit der Begleitung, Betreuung und Pflege künftig zu bestätigen. Auf diese Weise können auch entsprechende Diskussionen zwischen Arbeitgeber/in und Arbeitnehmer/in vermieden werden.

Der Anspruch auf Betreuungsurlaub bzw. Betreuungsentschädigung gilt sodann pro Krankheits- oder Unfallereignis. Somit entsteht ein neuer Anspruch, wenn das Kind wegen einer anderen Krankheit oder eines anderen Unfalls schwer beeinträchtigt ist.

Erkrankungen im Zusammenhang mit einer Hauptkrankheit zählen nicht als Neuerkrankungen. Ein Rückfall, der nach einer längeren beschwerdefreien Zeit auftritt, zählt jedoch als neues Ereignis. Ein zusätzlicher Anspruch kann in derselben Familie somit auch entstehen, wenn ein zweites Kind schwer verunglückt oder erkrankt oder wenn mehrere Kinder bei demselben Unfall schwer verletzt werden. Wird ein Kind mit einer schweren Krankheit geboren, besteht jedoch kein Anspruch auf die Betreuungsentschädigung (in diesem Fall hat die Mutter einen Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung). Ein Anspruch auf Betreuungsentschädigung kann jedoch im Anschluss an die Mutterschaftsentschädigung entstehen, sofern die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.

ii)   Umfang des Betreuungsurlaubes und Entschädigung

Der Betreuungsurlaub kann im Umfang von höchstens 14 Wochen geltend gemacht werden, aufgeteilt auf beide Elternteile. Während des Betreuungsurlaubs hat der betreuende Elternteil Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigung (EO).

Der Verdienstausfall während der krankheits- oder unfallbedingten Betreuungszeit wird als Sonderurlaub durch Taggelder kompensiert. Das Taggeld beträgt 80 Prozent des bisherigen Lohnes und ist auf einen Maximalbetrag von CHF 196 pro Tag begrenzt. Die Eltern haben gemeinsamen Anspruch auf maximal 98 Taggelder. Der Anspruch auf das Taggeld besteht auch an arbeitsfreien Tagen, z.B. an Samstagen und Sonntagen. Deshalb werden zu den fünf Arbeitstagen zwei zusätzliche Taggelder ausbezahlt (d.h. 98 Tage werden entschädigt, bei 70 effektiven Urlaubstagen). Das Taggeld und der Urlaub müssen innerhalb einer Rahmenfrist von 18 Monaten bezogen werden, wobei die Rahmenfrist an dem Tag beginnt, an dem das erste Taggeld bezogen wird.

Der Urlaub kann an einem Stück oder tageweise genommen werden. Sind beide Elternteile erwerbstätig, hat grundsätzlich jeder Elternteil einzeln Anspruch auf maximal 7 Wochen Betreuungsurlaub und die Hälfte der Taggelder. Die Eltern haben jedoch die Möglichkeit, eine andere Aufteilung des Betreuungsurlaubes zu vereinbaren. Eine solche Vereinbarung muss nicht vom Arbeitgeber genehmigt werden. Es ist auch möglich, dass die Eltern den ihnen zustehenden Urlaub gleichzeitig nehmen.

Um die Interessen der Arbeitgeberin bzw. des Arbeitgebers bestmöglich zu wahren, muss der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin über die Modalitäten des Betreuungsurlaubes, d.h. die Aufteilung zwischen den Eltern und die geplanten Anwesenheitstage, laufend informieren, insbesondere bei Anpassungen der Betreuung.

iii)   Weitere Folgen des Betreuungsurlaubs auf das Arbeitsverhältnis

Während des Betreuungsurlaubes für gesundheitlich schwer beeinträchtigte Kinder gilt nach Ablauf der Probezeit ein zeitlicher Kündigungsschutz und zwar nicht nur während laufender Betreuung, sondern solange der Anspruch auf Betreuungsurlaub besteht (neuer Art. 336c Abs. 1 lit. c ter OR). Die Sperrfrist dauert jedoch maximal sechs Monate ab dem Tag, an dem die Rahmenfrist (18 Monate) zu laufen beginnt. Wird dem betreuenden Elternteil (trotzdem) während der Sperrfrist gekündigt, ist die Kündigung nichtig.

Sodann darf der Ferienanspruch der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers selbstredend nicht durch die Inanspruchnahme von Betreuungsurlaub gekürzt werden, der Anspruch tritt als Sonderurlaub zum ordentlichen Urlaubsanspruch hinzu. Schliesslich ist anzumerken, dass die Regelung zum entschädigten Betreuungsurlaub teilweise zwingend ist, d.h. es darf auf Ebene des Arbeitsvertrags nur zugunsten der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers von den neuen Bestimmungen abgewichen werden.

Für weitergehende Fragen stehen wir jederzeit zur Verfügung.