Jonas Stüssi / Michael Lüdi12.07.2022

Strafbefehle leiden grundsätzlich an einem nicht heilbaren Mangel, wenn sie keine Originalunterschrift aufweisen

Mit Entscheid 6B_684/2021 vom 22. Juni 2022 entschied das Bundesgericht, dass mit einem Unterschriftenstempel («Faksimile-Stempel») versehene Strafbefehle ungültig sind und eine nachträgliche Heilung des Mangels durch das Überweisungsschreiben der Staatsanwaltschaft an das erstinstanzliche Gericht nicht möglich ist. Die Begründung des Bundesgerichts wird nachfolgend im Sinne eines leicht vereinfachten und verkürzten Überblicks dargestellt. Der ganze Entscheid ist noch nicht publiziert.

Prozessgeschichte
Dem Entscheid lag ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt zugrunde, der nur mit einem Unterschriftenstempel (einer sog. Faksimilie-Unterschrift) versehen worden war.

Da die Staatsanwaltschaft an ihrem Strafbefehl nach ergangener Einsprache festgehalten hat, hat sie diesen per handschriftlich unterzeichneter Verfügung dem erstinstanzlichen Strafgerichtgericht überwiesen. Sowohl erstinstanzlich als auch vor dem Appellationsgericht hat der Beschwerdeführer stets gerügt, dass der Strafbefehl, welcher bloss über eine Faksimilie-Unterschrift verfügt, ungültig sei (und das Verfahren entsprechend an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen sei). Die Staatsanwaltschaft stellte sich demgegenüber stets auf den Standpunkt, dass der Formmangel (sofern überhaupt einer bestehen würde), durch das Überweisungsschreiben an das erstinstanzliche Gericht, welches von der zuständigen Staatsanwältin von Hand unterzeichnet war, geheilt worden sei. Sodann wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass der Ablauf des «Unterzeichnens», somit das Anbringen des Unterschriftenstempels, durch interne Reglemente genau vorgegeben sei.

Ungültigkeit des Strafbefehls
Das Bundesgericht erwähnte zunächst, dass es schon in früheren Urteilen entschieden hatte, dass die Unterzeichnung des Strafbefehls durch eine unzuständige Person ungültig sei und es auch sonst unbestritten sei, dass es sich beim Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift um eine Gültigkeitsvorschrift handle. Als Begründung führte es an, dass die handschriftliche Unterzeichnung eines Strafbefehls dazu diene den Aussteller des Dokuments auszuweisen und den wirklichen Willen des Verfassers zu bezeugen. So sei auch die Anklageschrift ohne vorgängigen Strafbefehl oder eine andere Parteieingabe eigenhandschriftlich zu unterzeichnen. Hinsichtlich der Unterzeichnung des Strafbefehls würden folglich keine strengeren Voraussetzungen aufgestellt. Am Gültigkeitserfordernis ändere sich schliesslich auch nichts, dass es sich beim Ausstellen des Strafbefehls um ein Massengeschäft handle.

Keine Heilung des Mangels
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz entschied das Bundesgericht, dass durch die Unterzeichnung der Überweisungsverfügung der Staatsanwaltschaft an das erstinstanzliche Gericht im Einspracheverfahren keine Heilung des Mangels herbeigeführt werden kann. Da die Überweisung an das Gericht weder den Strafbefehl ersetze noch den Formmangel heile, sei ein Strafbefehl ohne eigenhändige Unterschrift aufzuheben und zur Durchführung eines neuen Vorverfahrens an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.

Ausnahmsweise Heilung bei versehentlichem Formmangel
Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unheilbarkeit des Formmangels sieht das Bundesgericht höchstens in jenen Fällen, in denen das Fehlen einer formgültigen Unterschrift auf ein Versehen zurückzuführen ist.

Der Beschwerdeführer wurde von den Rechtsanwälten Jonas Stüssi und Dr. Michael Lüdi vertreten.